Mittwoch, 24. Mai 2006

Schwaben sind anders!

In der Sonntagsbeilage der Stuttgarter Zeitung fand ich ein witziges Interview, welches Jürgen Löhle mit (noch) DFB-Präsident Gerhard Mayer-Vorfelder führte und die Schwaben bzw. die Stuttgarter im Zusammenhang mit Ihrer Gastgeber-Rolle bei der Fußball-Weltmeisterschaft charakterisiert:

"Bevor man über die Stadt redet, sollte man sich mit den Menschen beschäftigen. Ich bin zwar in Baden geboren [so Mayer-Vorfelder], habe aber Stuttgart und die Schwaben über all die Jahre lieb gewonnen und fühle mich hier zu Hause. Das ist allerdings nicht so ganz einfach, denn der Schwabe ist schon ein ganz eigener Typ. Wer sich zum Beispiel in Düsseldorf abends in eine Kneipe zu anderen an den Tisch setzt, meint nach kurzer Zeit, mit allen schon im Sandksten gespielt zu haben. Es kann aber gut sein, daß sich die Freunde der Nacht am nächsten Tag nicht mehr daran erinnern wollen.

In Stuttgart ist das anders. Wer hierher kommt, braucht ein wenig Geduld, um sich den Schwaben zu nähern. Wenn sich ein Stuttgarter dann aber mal geöffnet hat, ist er einmalig in seiner Zuverlässigkeit und Treue. Es ist für einen WM-Besucher wahrscheinlich etwas viel verlangt, aber die Lektüre von "Deutschland deine Schwaben" von Thaddäus Troll erklärt den Menschenschlag hier überaus treffend.

Es ist im Übrigen ein Gerücht, daß man sich in Städtle in einer Wirtschaft nicht zu Schwaben an den Tisch setzen soll. Besucher können das gerne tun, nur Stuttgarter verlassen aus seltsamer Höflichkeit wieder das Lokal, wenn an jedem Tisch einer sitzt. Ein Phänomen, denn eigentlich ist der Schwabe dichtes Sitzen durchaus gewöhnt, immerhin hat man hier zu Lande die Hocketse [von "Sitzen", also ein Zusammensitzen im Freien] erfunden, und da geht es eng zu.

Damit wären wir auch schon mitten in der Stadt. WM-Besucher sollten es sich nicht nehmen lassen, bei schönem Wetter die Freiluftszene rund um den Schloßpark zu genießen. Das hat schon ein ganz eigenes Flair, mitten in der Stadt unter alten Bäumen in einem
["] Biergarten ["] zu sitzen. Stuttgart ist eben grün, mir hat deshalb der alte Slogan "Weltstadt zwischen Wald und Reben" sehr gut gefallen. Es ist schon etwas Besonderes, an einem großen Bahnhof aus dem Zug zu steigen und danach gleich auf Weinberge zu blicken.

Stuttgart profitiert noch heute davon, nie als Großstadt konzipiert gewesen zu sein. Es waren eben viele Dörfer rund um den Neckar, die langsam zu einer Stadt zusammenwuchsen. Heute hat Stuttgart die Vorzüge einer Großstadt, ohne deswegen anonym zu sein - trotz der vielen kantigen Schwaben, die im Übrigen auch gut kochen können. Es ist nicht leicht, in der City neben den vielen Italienern, Griechen oder Chinesen auch noch Schwäbische Küche zu finden. Aber es gibt sie - zum Beispiel in der Kiste im Bohnenviertel.

Wer sich für Kultur interessiert, für den ist die Staatsgalerie ein Muß. Architektonisch außergewöhnlich und von einem Geist beseelt, der nicht zum Klischee des "einfachen" Schwaben paßt. Wirklich sehenswert. Und natürlich das Ballett. Das kennen wahrscheinlich die meisten, die zur WM kommen. Absoluter Weltruf und das zu Recht. Ich gehe auch gerne in die Oper.

Wenn ich in Stuttgart Gäste empfange, sind die immer ganz begeistert von den Musicals in Möhringen. Wir haben ja auch immerhin zwei, das hat auch nicht jede Stadt. Für den, der es mag, sicher ein Erlebnis. Und danach kann man ja wieder von Möhringen hinunter in den Kessel. Und rein ins Gewühl.
Setzen Sie sich dann einfach irgendwo dazu. Keine Bange, das geht."

Quelle: Stuttgarter Zeitung vom 21.05.06.
Erläuterung: Die Anmerkungen innerhalb der [...] sind von mir.

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